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Zeitzeugenberichte BW 2

Nachkriegsbunkerbewohnerin Feuerbach
Ellen Fronah, Rutesheim  
Meine Mutter und ich zogen 1953 von Schleswig Holstein nach Stuttgart, da man in Stuttgart nach Arbeitskräften suchte. Wir kamen nach Stuttgart und erhielten eine Baracke am Siegelberg als Wohnraum zugewiesen. Dort war man mit weiteren Mitbewohnern in einem Raum. Die Zuweisung erfolgte durch das Wohnungsamt. Meine Mutter arbeitete im Dreischichtbetrieb und suchte deshalb eine abgeschlossene Wohnung. Wir erhielten dann im Tiefbunker Feuerbach einen Raum. Nach etwa drei Monaten konnten wir uns auf zwei Räume ausweiten, die genau gegenüber vom Gang lagen. In einem Raum war der Schlafraum, wo ich ein Bett mit meiner Mutter teilte. Die Wände waren weiß gestrichen und ich verschönerte den Raum mit selbstgemalten Bildern, die ich an die Metalltüren klebte  Der andere Raum war der Wohnbereich. Wir hatten die Möbel aus Schleswig Holstein mitgebracht. Der Bunker war für die Unterbringung von Familien. Dort lebten wir dann von 1954 bis 1956. Im Bauwerk gab es viele Kinder  und dem entsprechend war auch der Lärmpegel sehr hoch. Wir waren aber froh. Dass wir unsere eigenen vier Wände hatten. Der Waschraum war im hinteren Bereich des Bunkers. Dort hat man sich jeden Morgen an den Waschtrögen gewaschen. Geheizt wurde an einer zentralen Stelle und die warme Luft kam über die Rohre der  Lüftungsanlage an der Decke in die Räume. Der Boden war aus Beton auf den ich soweit ich mich erinnere einen Teppichläufer legten. So oft es ging waren wir Kinder draußen. Der Spielplatz war rund um den Feuerbacher Bahnhof. Ich setzte mich bei Sonnenschein häufig vor den Bunker auf einen kleinen Kinderstuhl und häkelte. Als beliebtes Spiel wurde Himmel und Hölle gemacht, ein Hüpfspiel bei dem man nach Zahlen auf den Boden hüpfte. Verstecken war ebenfalls sehr beliebt.

Das Zusammenleben war zeitweilig sehr schwierig und ungemütlich. Männer randalierten sehr häufig nach dem wöchentlichen Zahltag am Samstag. Der Samstag war da noch ein regelmäßiger Arbeitstag. Der ständige Betreuer im Bunker musste dann immer als Schlichter tätig werden. Der Bunkerwart hat häufig gewechselt. Ob dieser im Bunker übernachtet hat weiß ich nicht. Wenn das Geld alle waren kehrte rasch auch wieder Frieden ein. Wenn es Streit im Bunker gab, bekamen dies immer alle mit. Das Bauwerk war sehr hellhörig. Da war es egal, ob es Streit zwischen zwei Familien oder innerhalb einer Familie gab. Streit durch Trunkenheit war der meiste Grund. Die Lebensmittel kaufte man bei einem Kiosk der zwischen dem Bahnhof und dem Spitzbunker stand. Der Kiosk baute sein Angebot ständig aus. Hier gab es Milch, Brot und Wurst und selbstverständlich Alkohol in allen Variationen. Dem Laden war eine Trinkhalle angeschlossen. Hier oder in der Bahnhofskneipe war dann das bevorzugte Refugium für den Alkoholkonsum.
Ich war im Tagheim in der Wiener Straße und kam erst abends in den Bunker zurück. Es gab nur einen Eingang den wir benutzen durften. Dieser lag auf der Bahnhofseite in unmittelbarer Nachbarschaft des Spitzbunkers. Am Ende des Teppenabgangs hatte der Bunkerwart einen  kleinen Raum mit einem Glasfenster. Er kontrolliert ob man berechtigt war den Bunker zu betreten. Man richtete sich in der Behausung nicht besonders ein, weil wir der Meinung waren, dass dies ja nur für einen kurzen Zeitraum vorübergehend unsere Unterkunft ist. Eine Mietzahlung wurde immer bezahlt. Diese wurde in einem Mietbüchlein quittiert. Meine Mutter bemühte sich ständig um eine neue Unterkunft. 1956 erhielten wir dann in den neu erstellten Wohnblocks in Hausen eine Wohnung und kamen damit aus dem Bunker raus. Der Tiefbunker wurde zu dieser Zeit auch komplett geräumt. Die Bewohner verschlug es in alle Stadtteile. Manche Bewohner wurden noch in den Hochbunker in Wolfbusch umgesiedelt. Hier waren in das Bauwerk Fenster hineingebrochen, so dass man Tageslicht hatte.
Die ständige Dunkelheit wenn man das Licht ausmachte war für mich das bedrückendste. Kein natürliches Licht kam in die Behausung. Ich konnte nur bei eingeschaltetem Licht einschlafen oder es musste wenigstens die Türe geöffnet bleiben, damit wenigstens von der ständig eingeschalteten Flurbeleuchtung Licht in dien Bunkerraum trat. Damals war es für mich nichts besonderes, das man unter der Erde lebte. Wenn ich heute zurückdenke ist es für mich unvorstellbar. Es war keine schöne Zeit. Ich habe deshalb diesen Zeitabschnitt fast vollständig aus meinem Gedächtnis verdrängt. Der Kontakt zu anderen Bewohnern ist mit dem Auszug aus diesem Bauwerk abgebrochen

Flüchtlingsbericht aus dem Tiefbunker in Feuerbach
Ich bin in Danzig geboren und aufgewachsen. 1945 wurden ich und meine Familie, meine 3 Brüder und meine Mutter vertrieben. Zwei weitere Geschwister sind in Danzig verhungert. Für meine Mutter war es furchtbar ihren Kindern nichts zum Essen geben zu können. Mein Bruder ist in meinem Schoß gestorben. Die Russen haben auf einer benachbarten Wiese ein Rinderkadaver geworfen und haben furchtbar gelocht, wie sich die Menschen darübrt hermachten. Wir sind dann in Etappen nach Stuttgart gekommen. Mein Vater hatte im Krieg ein Bein verloren und war in Hersching in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Es war bereits Verwandtschaft im Bereich von Stuttgart und deshalb ließ sich mein Vater nach Stuttgart aus der Gefangenschaft entlassen. In den Osten wollte er auf keinen Fall, da er nicht in den russisch besetzten teil wollte. Wir waren zu diesem Zeitpunkt bereits in Sachsen. Wie meine Verwandten nach Stuttgart gekommen sind, weiß ich nicht. Mein Vater hatte eine Stelle bei Daimler bekommen. Er war gelernter Automechaniker und hatte eine Stelle als Kontrolleur im Wareneingang erhalten. Dort war er über 30 Jahre beschäftigt. Nach seiner Entlassung schickte er ein Telegramm meiner Mutter, dass sie auch nach Stuttgart kommen solle, da er eine entsprechende Zuzugs- und Aufenthaltsgenehmigung dafür hatte. Meine Mutter brach dann mit vier Kindern auf. Der Wachmann im dortigen Lager war dann so menschlich, dass er uns ziehen ließ. Er hätte dies uns durchaus verwehren können. Wir Kinder hatten jeder ein kleines, von unserer Mutter genähtes Rucksäckchen. In diesem war alles drin was wir besaßen. Unsere Mutter war herzkrank und viel öfters um. Das war für uns Kinder immer ein Drama. Wir kamen zuerst nach Ulm in ein Barackenlager und dann ging es weiter nach Stuttgart. Hier wurden wir in den Bunker nach Feuerbach einquartiert. Die Einweisung erfolgte vom Flüchtlingsamt. Wir meldeten uns beim Bunkerwart der uns dann zwei Räume im Bunker zuwies. Die Zuzugsgenehmigung war immer ein Problem Einmal hieß es ihr dürft bleiben , ein anderes Mal ihr müsst wieder zurück. Vielleicht wurden hier auch bewusst Gerüchte gestreut um die Flüchtlinge gefügig zu halten. Der Eingang in diesen Bunker war dort wo heute die Wasserzentrale ist.Andere Eingänge waren nicht geöffnet. Es gab sehr viel Streit im Bunker. Der Bunkerwart musste daher immer schlichtend eingreifen. Die Menschen kamen aus allen Gegenden von Deutschland. Wir Kinder waren natürlich auch sehr schwierig. Wir rasten durch die Gänge und haben damit die Bewohner gestört. Es besuchten uns immer wieder Kommissionen von der UNHCR, welche die Aufgabe hatten den Wohnzustand zu erfassen. Der Leiter dieser Kommission war ein Mister Thomsen. Er hatte mit seiner Kommission den ganzen Bunker inspiziert. Offensichtlich hatte er an mir als kleines Kind einen Narren gefressen. Er holte mich des öfters zu sich und seiner Frau in seine Wohnung am Killesberg. Dort durfte ich über das Wochenende bleiben. Ich hatte ein eigenes Zimmer und ein hervorragendes Essen. Ich wurde immer mit seinem großen Auto abgeholt. Mister Thomsen wollte mich sogar adoptieren und nach England nehmen, wo ich eine gute Ausbildung erhalten sollte. Damit war meine Mutter aber nicht einverstanden. Mister Thomsen war meiner Familie trotzdem gut gewogen und ermöglichte es uns1949 eine 3-Zimmerwohnung in Bad Cannstatt zu erhalten. Er hatte bei den Behörden offensichtlich schon ein bedeutendes Wort mitzureden.

Meine Schule war die Bismarckschule. Wir waren 60 Schüler in einer Klasse. In unserem Bunkerraum gab es keinen Tisch an welchem wir unsere Hausaufgaben machen konnten. Dies geschah an der Bettkante, wo wir uns hinknien konnten.

Als wir unsere Wohnung bekommen hatten, haben wir das Leben im Bunker schnell hinter uns gelassen.Es gab dann kein Kontakt mehr zu ehemaligen Mitbewohnern. Der Grund vielleicht lag auch daran, dass wir eigentlich auseinander gerissen wurden. Einer kam nach Bad Cannstatt, der andere nach Heslach. Man war nach dem Auszug aus dem Gröbsten raus und wollte das Vergangene vergessen.

Das Kriegsende in Feuerbach
Mitte Februar 1945 ist unser Vater an der Ostfront, die damals schon entlang der Oder verlief, in einen russischen Tieffliegerangriff geraten und gefallen. Mitte April kamen französische und amerikanische Truppen aus allen Himmelsrichtungen immer näher auf Stuttgart zu, wir hörten schon das Grollen der Geschütze. Feuerbach wurde von Artillerie beschossen. Wir sahen vom Lemberg aus zu, wie die Granaten in die Fabrikgebäude vom Bosch einschlugen.
Es wurde allmählich ungemütlich. Deshalb wurde unsere Restfamilie, wir zwei Buben mit unserer Mutter, im Tiefbunker am Bahnhof Feuerbach einquartiert. Als wir mit anderen Kindern vor dem Eingang des Bunkers spielten, kamen noch ein paar deutsche Soldaten vorbei, Siebzehnjährige, einer trug eine Panzerfaust.
Wenige Tage später, an einem Sonntagmorgen Ende April 1945, sprachen alle Leute im Bunker davon, französische Kolonialtruppen marschierten in Feuerbach ein. An jenem Tag hätten wir beinahe auch unsere Mutter verloren. Wir zwei Buben, sechs und drei Jahre alt, zogen uns hastig an; erst dann bemerkten wir in dem allgemeinen Durcheinander, dass unsere Mutter nicht da war.
Es war angeordnet worden, den Bunker zu räumen, und unsere Mutter hatte sich auf den Weg gemacht zu den Großeltern, um einen Handwagen für unsere Habseligkeiten zu besorgen. Aber es war Sonntag und Großvater bestand darauf, zuerst und wie immer ein „Sonndichhemd“ anzuziehen. „Lass’ das doch mit dem Sonntagshemd, bald sind die Franzosen da.“ Als er endlich korrekt gekleidet dastand, war es zu spät. Ein französischer Offizier stürmte in den Hof, unsere Mutter, Tante Mina, Tante Maria, Großmutter und Großvater mussten sich am großen Tor der Küferwerkstatt in einer Reihe aufstellen. Sie sollten als Geiseln erschossen werden, da zwei französische Soldaten von deutschen Scharfschützen erschossen worden seien. In ihrer Angst bot unsere Mutter ihr ganzes Schulfranzösisch auf, um zu beteuern, dass sie zwei kleine Kinder zu versorgen habe. In letzter Minute erschien ein zweiter Offizier, der meldete, es sei ein Unfall gewesen; die beiden Soldaten hätten leichtfertig mit einer scharfen Handgranate hantiert.
Wir Buben warteten voller Angst auf unsere Mutter. Sie kam mit dem Handwagen und wir zogen mit Sack und Pack zurück in unsere Wohnung in der Villacher Straße. Durch das Wohnzimmerfenster sahen wir, wie eine nicht enden wollende Kolonne von Panzern, Lastwagen und Mannschaftstransportern die Wiener Straße herunter rasselte. Die Panzersperre in unserer kleinen Nebenstraße interessierte sie nicht.
Für uns war der Krieg zu Ende. Als ich an einem der nächsten Tage mit einem Freund neugierig herumstreifte, hatte ich, obwohl noch ein Kind, das merkwürdige Gefühl, dass wir eine Zeitenwende miterlebten.
Die gewohnten deutschen Uniformen waren aus dem Straßenbild verschwunden, stattdessen sah man jetzt französische, überall. Die sie trugen waren aber keine Franzosen, sondern Algerier, Tunesier, Marokkaner. Und das merkwürdigste: mehrmals am Tag breiteten sie auf dem Schulhof der Bismarckschule, vor unserem Wohnzimmerfenster, ihre kleinen Gebetsteppiche aus. Sie kauerten nieder, die Knie, die Hände, die Nase auf dem Boden, die Stirn immer zum Wilhelm-Geiger-Platz gerichtet, weil dort, so stellten wir Kinder es uns vor, das rätselhafte Mekka liege. Denn auf dem „Karlsplatz“, wie die alten Feuerbächer ihn nannten, wurde jeden Morgen mit schmetterndem Clairon und Trommelwirbel die Trikolore gehisst und abends ebenso feierlich wieder eingeholt.
Unser Vater war zweiundvierzig Jahre alt, als er sein Leben mit dem letzten Aufgebot verlor. Sein Name ist zusammen mit vielen anderen auf einer Gedenktafel im Feuerbacher Friedhof zu lesen. Der Tiefbunker am Bahnhof Feuerbach wird so viele Jahrzehnte nach dem Krieg noch immer bereit gehalten.
Prof. Dr.-Ing. Utz Baitinger
Jahrgang 1938
bis 1954: Stuttgart-Feuerbach